Gerade wird die Value-Kuh wieder durch das Dorf getrieben. In zahlreichen Publikationen heißt es derzeit: Raus aus Growth- und rein in Value-Aktien.
Quelle: Bloomberg
Die starke Outperformance der Wachstumswerte in diesem Jahr schreit förmlich nach einer Korrektur und damit zu einem Stylewechsel hin zu Value-Aktien. Für den längerfristigen Anleger bleibt festzuhalten, dass die Growth-Titel die Substanzwerte deutlich outperformt haben.
Gründe für den Optimismus und die lauten Rufe nach einem Wechsel hin zu Substanz-Werten
Da ist zum Einen, wie in Abbildung 2 zu sehen, die enorme Erwartungshaltung der Investoren in Bezug auf das zukünftige wirtschaftliche Wachstum. So hoch wie jetzt war es nur im März 2002. Dass damit auch die Gewinnerwartung überproportional hoch ist, versteht sich fast von selbst. Diese wird vor allem durch die extremen Ertragssprünge der zyklischen Werte gespeist.
Die nachfolgende Abbildung 3 zeigt jedoch das ganze Dilemma der Wechselrufer.
Seit 2007 war die überwiegende Mehrheit der Investoren davon überzeugt, dass sich Value-Aktien besser entwickeln werden als Wachstumstitel. Ein (fast) permanenter Trugschluss, wie oben die Abbildung 1 insbesondere seit 2007 offenbart hat.
Begriffsdefinition Growth und Value
Hier werden Sie enttäuscht sein, wenn Sie eine klare und besonders allgemeingültige Definition erwarten. Jeder Anbieter und wahrscheinlich Investor versteht darunter etwas anderes.
MSCI definiert Wachstum besonders in Bezug auf historisches, gegenwärtiges und zukünftiges Gewinnwachstum pro Aktie. Die klassischen Bewertungskriterien wie Kurs-Gewinn-Verhältnis, Kurs-Buchwert-Verhältnis und Dividendenrendite sind die Auswahlkriterien für Value-Aktien.
Standard & Poor’s berechnet seinen Value Index ähnlich. Umsatzwachstum, Momentum und Gewinnveränderung sind die Faktoren zur Aufnahme in den S&P Growth Index.
Schwer verständlich ist, dass bei S&P der Value-Index derzeit aus 387 und der Growth-Index aus 282 Aktien bestehen. Macht zusammen 669 Werte. Gespeist werden beide Indizes aus dem S&P 500 Index. Es gibt also einen Überhang von 163 Aktien (der S&P 500 hat aktuell 506 Titel)! Diese 163 Dividendenwerte sind also sowohl Value als auch Growth! Zu diesen „Hybrid-Aktien“ gehören Nike, JP Morgan, Walt Disney, Home Depot u.a.
Nicht so drastisch ist das Bild beim MSCI Europe mit seinen 437 Mitgliedern. Der MSCI Europe Growth Index besteht aus 216 Aktien und sein Gegenstück der MSCI Europe Value Index aus 258 Dividendenwerten. Macht zusammen 474. Also gibt es auch hier einen Überhang von immerhin 37 Aktien. Interessant ist nur, dass die beiden Schweizer Pharmafirmen Roche und Novartis „getrennt“ werden. Roche gehört bei MSCI in den Topf von Wachstum, während Novartis in den Substanztopf gewandert ist.
Aus den oben genannten Gründen macht es wenig Sinn, Marktteilnehmer in Value oder Growth Investoren einzuteilen. Da ist die Fußball-Bundesliga schon weiter. Hier gibt es keine Growth- oder Value-Mannschaften. Und aus einem Vizemeister wird auch im nächsten Jahr kein Deep-Value Verein.
Parameter für eine erfolgreiche, langfristige Aktienauswahl
Über einen langen Zeitraum haben Gesellschaften, deren Umsätze überdurchschnittlich gegenüber dem Gesamtmarkt wachsen, auch kursmäßig deutlich besser abgeschnitten. Unternehmen, die kaum wachsen, geraten auf Dauer performancetechnisch ins Hintertreffen. Umsatzwachstum alleine reicht aber nicht aus, um langfristig erfolgreich zu sein, auch die Gewinne müssen überdurchschnittlich zulegen.
Fazit 1: Unternehmen mit höheren Wachstumsraten sind auf Dauer erfolgreicher als der Durchschnitt
McKinsey hat herausgefunden, dass sich auf Dauer Unternehmen besonders gut entwickeln, die über eine hohe Ertragskraft (gemessen am Return on Invested Capitel oder ROIC) verfügen. Der ROIC misst den Ertrag in % auf das eingesetzte Kapital (Eigen- und Fremdkapital).
Fazit 2: Unternehmen mit hoher Ertragskraft sind auf Dauer erfolgreicher als der Durchschnitt
Dass Unternehmen mit weniger Schulden langfristig besser abschneiden als Gesellschaften mit beträchtlichen Verbindlichkeiten, versteht sich fast von selbst. Zwar kann es Zyklen geben, in denen hoch verschuldete Firmen an der Börse besser performen, aber auf lange Sicht schläft es sich leichter, wenn man weiß, dass „sein“ ausgewähltes Unternehmen wenig bis keine Schulden hat. Der Beleg: Der MSCI World Quality Index legte in den letzten 30 Jahren um 2540 % und der MSCI World „nur“ um 939 % zu.
Fazit 3: Unternehmen mit hoher Bilanzqualität sind auf Dauer erfolgreicher als der Durchschnitt
Der vierte und letzte Punkt ist Voraussetzung für ein erfolgreiches langfristiges Aktieninvestment: die Bewertung! Sind alle drei zuvor genannten Kriterien erfüllt, stellt sich die Frage, wird das Unternehmen von den Marktteilnehmern angemessen, zu hoch oder evtl. zu günstig eingeschätzt? Beim Entrepreneur AS Select Fonds bewerten wir die Gesellschaften nach dem Ertragswertverfahren und vergleichen den so ermittelten inneren Wert eines Unternehmens mit dem aktuellen Börsenkurs.
Fazit 4: Unternehmen gemäß unserem Value-Ansatz sind auf Dauer erfolgreicher als der Durchschnitt
Resümee: die aufgezeigten Kriterien für eine langfristige Aktienauswahl sind der klassischen Value oder Growth Definition überlegen.
Warum hat Warren Buffett nun in T-Mobile US investiert?
Aufschluss gibt der nachstehende Vergleich zwischen der Deutschen Telekom und ihrer US-Tochter T-Mobile.
Deutsche Telekom | T-Mobile US | |
---|---|---|
Umsatzwachstum seit 2013 p.a. | + 4,8 % | + 12,7 % |
Durchschnittliche Kapitalverzinsung (Geschäftsjahre 2015 – 2019) | 5,7 % | 7,0 % |
Durchschnittliche Verschuldung zu Eigenkapital (Geschäftsjahre 2015 – 2019) | 157 % | 149 % |
Aktienperformance vergangene 5 Jahre (inkl. Dividende) | 7 % | 266 % |
Erwartetes Umsatzwachstum p.a. (Geschäftsjahre 2020 – 2022) | + 10,7 % | + 22,7 % |
Auf den ersten Blick ist der Performance-Unterschied von knapp 260 % nicht gerechtfertigt. Entscheidend dafür ist u. a. die Bewertung der Deutschen Telekom und T-Mobile US in 2015. Aber auch das unterschiedliche Umsatzwachstum spielt eine wichtige Rolle bei der Beurteilung der extremen Wertentwicklungsdifferenz. Wenn beide Gesellschaften bei einem Umsatz mit 100 (Index) starten, hat die Deutsche Telekom nach 7 Jahren eine Umsatzgröße von 139. T-Mobile US kommt im gleichen Zeitraum auf einen Umsatz von 231.
Würde die Rechnung im 10. Jahr gemacht, würde sie so aussehen:
Deutsche Telekom | T-Mobile US | |
---|---|---|
Umsatz in Jahr 10 | 159,8 | 330,5 |
Nettogewinn bei 8 % Marge in Jahr 10 | 12,8 | 26,4 |
Diese Kalkulation erklärt eindrucksvoll, warum Berkshire Hathaway als langfristiger Investor ein neues Engagement in T-Mobile US und nicht in der Deutschen Telekom gesucht hat.
Value ist für Warren Buffett nicht niedriges Kurs-Gewinn-Verhältnis etc., sondern der Bewertungsunterschied zwischen dem ermittelten inneren Wert und dem aktuellen Börsenwert einer Aktie.
Kommen wir zur Eingangsfrage zurück: Verlässt Warren Buffett seinen Valuepfad? Die Antwort lautet Nein, er bleibt sich und seiner Philosophie auch im 56. Jahr seines Wirkens treu!